Entspanntes Leben hinter dem Neuwieder Deich

In Neuwied dreht sich (fast) alles um die Fürstenfamilie zu Wied. Aber eben nur fast. Die knapp 65.000 Einwohner zählende Kreisstadt bietet noch viel mehr. In den zurückliegenden 364 Jahren Stadtgeschichte hat sich die Stadt am Rhein zu einem lohnenswerten Ziel für einen Wochenendbesuch entwickelt. Wer in einem Supermarkt übernachten, unter Wasser speisen oder eine Runde flippern möchte, ist hier genau richtig.  

Das fürstliche Wappen mit der Inschrift „Fidelitate et Veritate“

In Neuwied liegen die Wurzeln des deutschen Fußballs. Wie bitte? „Fußball spielt in Neuwied eine ganz besondere Rolle“, verrät Stadtführer Björn Ritter bei einem Rundgang an diesem trüben Oktobertag durch die Stadt am Rhein. „In den Überlieferungen heißt es, dass die englischen Internatsschüler der Herrnhuter Knabenanstalt in ihrer Freizeit dem damals noch neuen Ballspiel nach allen Regeln der Kickerkunst frönten. Das war im Jahre 1865.“ Ebenfalls Fußballgeschichte hat ein Neuwieder Bürger geschrieben. Von 1900 bis 1904 war der Arzt und Begründer der Konstitutionshygiene, Ferdinand Hueppe, erster Präsident des Deutschen Fußball-Bundes.

„Der Dreiklang von Natur, Genuss und Kultur macht uns hier so einmalig.“

Petra Neuendorf, Stadtmarketing

Ein weiterer Neuwieder, der über die Stadtgrenzen hinaus Bekanntheit erlangte, war Maximilian Prinz zu Wied. Als einer der größten Naturforscher sammelte er auf seinen Forschungsreisen durch Süd- und Nordamerika wichtige Erkenntnisse über die Natur und die Indianerstämme.

Prinz Max war im Dienst der Wissenschaft unterwegs

Neuwieder Schärjer

Die Neuwieder sind schon ein ganz besonderes Volk. „Mir kennen käne Ärjer, drom weren mir och net schro. Bäj uns es käner de Letzte, bäj uns kimmt käner ze erscht, ob de Dönnste oder de Fettste, bäj uns es jeder en Färscht.“  Was hier der Neuwieder Heimatdichter Helmut Flohr auf den Punkt bringt, kann die Leiterin des Amtes für Stadtmarketing nur bestätigen. „Das spiegelt genau den Zusammenhalt der Neuwieder Bürgerinnen und Bürger wider“, sagt Petra Neuendorf mit einem Augenzwinkern. „Bei uns sind alle Menschen gleich und wir lieben das Fürstenhaus für seine verkündeten Freiheitsrechte. Unsere Stadt ist liebens- und lebenswert. Der Dreiklang von Natur, Genuss und Kultur macht uns hier so einmalig.“

Dem „Schärjer“ wurde in der Mittelstraße ein Denkmal gesetzt

Wahrscheinlich geht dieses Neuwieder Laissez-faire auf das ausgehende 17. Jahrhundert zurück, als sich die Stadt auf Geheiß des damaligen Fürsten zu einer der ersten deutschen Freistätten für Religionsflüchtlinge entwickelte. Eine von ihnen ist die seit 1750 ansässige Herrnhuter Brüdergemeine, die unweit des Schlosses ein ganzes Stadtviertel einnimmt. Neben der 1784 im spätbarocken Stil erbauten Kirche betreibt die evangelisch-freikirchliche Gemeine konfessionsübergreifend ein Altenheim und einen Kindergarten.

Musemsdirektor Axel Hillenbrand bei seiner liebsten Tätigkeit

Völlig ausgeflippt

Ein paar Gehminuten weiter befindet sich eine weitere Neuwieder Attraktion. Hier haben Axel Hillenbrand und seine Mitstreiter das Deutsche Flippermuseum eingerichtet. Dabei geht es aber nicht um den berühmten TV-Delphin, sondern um die blinkenden und lärmenden Spielgeräte, die seit 1947 in fast jeder Kneipe standen. Die meisten der 150 ausgestellten Exponate stammen aus der Privatsammlung des 49-Jährigen. „Viele Väter kommen mit ihren Söhnen. Sie wollen ihrem Nachwuchs beweisen, wie toll sie am Flipper sind. Bei der Playstation haben sie ja keine Chance“, erzählt der Sozialarbeiter, der seine Diplomarbeit zum Thema „Star Trek“ schrieb und sich anschließend mit einem „Star Trek“-Flipper belohnte. Wer gerne in einem etwas intimeren Rahmen daddeln möchte, kann eins der drei Zimmer im 2013 eröffneten „Flipperhotel“ buchen. Dort steht nämlich auf jedem Zimmer ein Flipper.  

Die heimische Tierwelt hat einen festen Platz im Archäologischen Forschungszentrum

Den Menschen verstehen lernen

Jetzt geht es weiter zu Schloss Monrepos, das in der Mitte des 18. Jahrhunderts erbaut wurde und im 19. Jahrhundert als Sommersitz der fürstlichen Familie diente. Das eigentliche Schloss existiert heute nicht mehr. In einem benachbarten Gebäude, dem Palais der Prinzessin ist seit 1988 das Archäologische Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution zu finden. Das Museum ist vor allem für seine innovativen Vermittlungsformate bekannt. „Mit neuen didaktischen Ansätzen möchten wir Neugierde wecken und die Vermittlung von Wissen interessanter machen“, erzählt Leiterin Prof. Dr. Sabine Gaudzinski-Windheuser. In der Dauerausstellung „Menschliches Verstehen“ können die Besucher auf eine Urzeitreise zum eigenen Verhalten gehen. Eine weitere Besonderheit im ehemaligen „Prinzessinnenpalais“ ist das gastronomische Konzept. „Wir sind wahrscheinlich das einzige Forschungsmuseum weltweit, das eine Gastronomie in Eigenregie betreibt“, vermutet die Hochschullehrerin am Institut für Vor- und Frühgeschichte der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. „Fachlich werden wir dabei von Gourmetkoch Bernd Becker begleitet.“ Basierend auf den Forschungsergebnissen der Archäologen bietet er im Bistro „MonAppetit“ altsteinzeitlich inspirierten Gaumenschmaus an. Kulinarik auf allerhöchstem Niveau und ein schöner Abschluss des Wochenendtrips nach Neuwied.  

Auch „große“ Besucherinnen haben hier ihren Spaß

Kulinarik unter Wasser

Was haben Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten und der Neuwieder Stadtteil Niederbieber gemeinsam? Die Gäste können ihr Essen in einem Unterwasserrestaurant genießen. „Unser Seewasseraquarium ist aber um 10.000 Liter größer als das im Burj al Arab“, lacht Burkhard Weller Chef des Restaurant „La Mer“. Aber warum steht dieses einzigartige Restaurant ausgerechnet in der Provinz? „Weil ich diese fixe Idee unbedingt in die Tat umsetzen wollte.“ Allerdings hat diese Eingebung eine Menge Geld verschlungen. Anfänglich hat der Besitzer einer Fischzucht und eines Seefischhandels rund 250.000 Euro einkalkuliert. Am Ende kostete sein Traum einiges mehr. Dafür hat er jetzt einen ganz besonderen Genusstempel, der Gäste aus der gesamten Region anlockt. 150.000 Liter Seewasser zaubern eine fast reale Unterwasserwelt – mit exotischen Haien, Rochen und Kugelfischen. Während hinter den zehn Zentimeter dicken Panzerglasscheiben auch geheiratet werden kann, sitzen die Gäste im Trockenen und genießen die regelmäßig wechselnden Spezialitäten aus Neptuns Reich. Wer im „La Mer“ einen Tisch reservieren möchte, muss Geduld mitbringen. Derzeit liegt die Wartezeit bei rund sechs Monaten.

Beim Essen einen Blick in Neptuns Reich werfen

Zwischen Prinzenrolle und Schokopudding

In Europas erstem und einzigen Supermarkt-Themenhotel ist alles ein wenig anders. Die 113 Zimmer werden in die Kategorien „Einweg“, Extrapack“ oder „Mehrweg“ eingeteilt – 46 von ihnen sind thematisch eingerichtet. So können die Gäste des food hotel in Neuwied zum Beispiel im Prinzenrolle-Zimmer nächtigen ­– garantiert ohne Krümel im Bett. Wer es lieber etwas poppiger möchte, kann das Zimmer von Chio Chips mit Discokugel über dem Bett und Partymusik buchen. Wie kommt man auf so eine Idee? „Direkt nebenan befindet sich mit der ‚food akademie’ die Bundesfachschule des Lebensmittelhandels“, antwortet Marketingchefin Vera Schmidt. „Dort werden die zukünftigen Fach- und Führungskräfte der Branche ausgebildet. Rund 5.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Lebensmitteleinzelhandels kommen jährlich nach Neuwied und möchten hier natürlich auch übernachten. Vor diesem Hintergrund wurde vor zehn Jahren das food hotel gebaut.“ Trotz oder gerade wegen des Supermarktcharmes müssen die Gäste nicht auf Komfort verzichten. Vor kurzem wurde das barrierefreie Hotel mit seinen sechs Tagungsräumen für bis zu 250 Personen mit vier Sternen zertifiziert.  

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Rolle rückwärts im Prinzen-Zimmer des food hotel

Von der Muse geküsst

Bereits beim Betreten von Schloss Engers werden die Besucherinnen und Besucher von der Muse geküsst. Es gibt in ganz Deutschland kein Barockschloss, das näher an Vater Rhein liegt. Um 1760 diente es Kurfürst Johann Philipp von Walderdorff aus Trier als pompöses Jagdschloss. Seit über 20 Jahren wird es von der Akademie für Kammermusik der Villa Musica genutzt. Darüber hinaus bietet Schloss Engers den prunkvollen Rahmen für besondere Veranstaltungen. Die Betreiber des renommierten Hotel-Restaurants sorgen für den festlichen Rahmen.  Als Kulturhaus mit vielen Facetten bietet Schloss Engers musikalische Nachwuchsförderung auf allerhöchstem künstlerischem Niveau. Die Strahlkraft geht weit über die rheinland-pfälzischen Landesgrenzen hinaus. Regelmäßig stellen die Stipendiaten der Villa Musica ihr musikalisches Talent unter Beweis.

Schloss Engers war einst kurfürstliches Jagdschloss

Auf den Spuren der Genossenschaft

Straßen haben im Leben von Friedrich Wilhelm Raiffeisen schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Zu seinen Lebzeiten waren viele Ortschaften des Westerwaldes von der Außenwelt abgeschnitten. Und so ist auch die Historische Raiffeisenstraße, die den Westerwald auf Initiative von ihm mit dem Rhein verbindet, ein Sinnbild für das Leben und Wirken des großen Sozialreformers und Genossenschaftsgründers, der in Hamm an der Sieg geboren wurde. Im dortigen Deutschen Raiffeisenmuseum kann man sich sehr detailliert über „Vater Raiffeisen“, wie ihn die Westerwälder liebevoll nannten, und seine revolutionäre Genossenschaftsidee informieren. Mit diesem geballten Wissen im Gepäck geht es über die heutige Bundesstraße 256 weiter nach Weyerbusch. Während andere Söhne mit 26 Jahren noch an Mutters Rockzipfel hingen, trat Raiffeisen 1845 sein Amt als Bürgermeister von Weyerbusch an, das er bis 1848 bekleidete. Gleich im ersten Jahr seiner Tätigkeit baute er eine Schule. In den Folgejahren folgte zwei weitere Schulneubauten in den zu seinem Amtssitz gehörenden Dörfern. Da der Winter 1846/47 extrem hart war, entschloss sich der junge Bürgermeister zu Notstandsmaßnahmen. Gemeinsam wurde Brot gebacken und verkauft. Das Geld kam den armen Weyerbuschern zugute. Eine weitere Maßnahme war der Straßen- und Wegebau. So entstand die heutige Historische Raiffeisenstraße. Von hier aus lohnt sich ein kurzer Abstecher zum nahegelegenen hölzernen Raiffeisen-Turm auf dem Beuleskopf in Heupelzen. Nach dem anstrengenden Treppenaufstieg kannst du bei klarer Sicht den einmaligen Panoramablick aus 35 Metern Höhe über das Raiffeisenland bis zur Montabaur Höhe oder auf der anderen Seite bis zum Siebengebirge genießen. Weiter geht`s zum Ortskern von Weyerbusch. Eine sympathische Skulptur von Raiffeisen und zwei Kindern begrüßt die Gäste am Raiffeisen-Begegnungszentrum (RBZ). Gleich neben dem ersten Amtssitz Raiffeisens im alten Bürgermeistershaus gibt es im Nachbau eines für die Region typischen Backhauses Brot nach Originalrezepten.

Vierzig Kilometer auf den Spuren des Sozialreformers

Komische Vögel und andere Exoten

Im Laufe der Jahre sind die Volieren des Kakaduhauses im Zoo Neuwied arg in Mitleidenschaft gezogen worden. Eine umfangreiche Renovierung war erforderlich. Und so bekamen die Gehegeabgrenzungen einen frischen Anstrich. Auf den Rückwänden der Volieren sind nun die Lebensräume wie Wald oder Strauchsavanne abgebildet. Darüber hinaus gab es neuen Bodengrund, die Pflanzen wurden ausgetauscht, Gras neu ausgesät und die Einrichtung in den Gehegen aufgemöbelt. In den beiden Volieren wohnen ab sofort afrikanische und südamerikanische Vögel geographisch getrennt. Unter dem neuen Namen „Avimundo“, der übersetzt „Welt der Vögel“ bedeutet, ist das exotische Federvieh im größten rheinland-pfälzischen Zoo zu bestaunen. Neu eingezogen ist ein Nashornvogel aus Ostafrika, den Wissenschaftler Von-der-Decken-Toko genannt haben. Er teilt sich sein neues Zuhause mit den Kronenkiebitzen. Um die Zucht und Haltung dieser Arten koordinieren zu können, besteht für die „Avimundo“ ein Europäisches Zuchtbuch. Nur so ist das Überleben der Arten garantiert. Neben den Ecuador-Amazonen und dem Von-der-Decken-Toko gehören die Azara-Agutis zum Arterhaltungsprogramm europäischer Zoos. Diese Nagetiere teilen sich das Gehege mit den Grünarassaris. Während diese Tukanart den oberen Bereich der Voliere nutzt, leben die Meerschweinchenverwandten auf dem Boden. Der für die Vögel und Reptilien im Neuwieder Zoo zuständige Kurator ist vom renovierten Kakaduhaus begeistert. „Die neuen Vogelarten sind nicht nur für den Besucher schön anzusehen“, sagt Max Birkendorf. „Wir hoffen, dass wir auch zur Erhaltung dieser Arten beitragen können. Die Renovierung ist ein Schritt gegen die frühere Einzelhaltung von Individuen, hin zum Aufzeigen kleiner Lebensräume mehrerer Arten. Außerdem ist so auch für die Stammbesucher des Zoo Neuwied immer wieder etwas Neues zu sehen.“ Alls das ist aber nur durch bürgerschaftliches Engagement möglich. „Unser Zoo wird zwar durch öffentliche Gelder unterstützt, aber das reicht bei weitem nicht aus“, stellt der zukünftige Neuwieder Oberbürgermeister Jan Einig, der auch Vorsitzender des Fördervereins ist, fest. „Rund die Hälfte des jährlichen Budgets müssen über Spenden generiert werden.“  

Der Von-der-Decken-Toko ist ein echt schräger Vogel

Ab in die Brombeerhecke

Der Rhein ist eigentlich für seine leckeren Weine bekannt. In der Regel wird er hier aus Trauben gekeltert. Hoch über dem Neuwieder Becken in der Nähe von Leutesdorf am Stadtrand Neuwiedshat sich Frank Hattenhauer mit seiner Familie auf Brombeeren spezialisiert. Doch nicht nur Wein wird aus den leckeren Früchtchen gekeltert. In der Brombeerschenke in Leutesdorf gibt es alles, was man aus Brombeeren herstellen kann. Und das schon seit 1950. Neben Kuchen, Waffeln und Roter Grütze stehen hier auf 272 Metern Höhe Brotaufstriche, Liköre, Schnaps, Tee, Nektar und Eis in den Regalen oder auf der Speisekarte. Gleich nebenan liegt die riesige Obstplantage. Auf über einem Hektar werden die Brombeeren angebaut. Pieken kann man sich hier übrigens nicht mehr, denn die schottischen Sorten „Loch Tay“ und „Loch Ness“ wachsen dornenlos.

Text & Fotos (12) © Holger Bernert

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