Vor mehr als 100 Jahren wurde in Neuwied nachweislich der letzte Wein angebaut. 1914 fand in Irlich die letzte offizielle Weinlese statt. Der letzte Winzer war ein Pfarrer. Seither galt der Weinbau in der Deichstadt als ausgestorben. Jetzt wird diese alte Tradition am „Frauenberg“ fortgeführt. Verantwortlich dafür sind die fünf Hobbywinzer und Gesellschafter der „Neuwieder Wahrheit“.

Alte Tradition wiederbelebt
Was Lars Ebert, Dieter Herrmann, Jörg Groth, Dietmar Rieth und Wolfgang Geiß als Gesellschafter der „Neuwieder Wahrheit“ gemeinsam auf die Beine gestellt haben, hat einen ganz besonderen Stellenwert. Nach über hundert Jahren Stillstand haben die fünf Männer den Weinbau in der Deichstadt wieder aufleben lassen. Angefangen hat alles vor knapp zehn Jahren mit dem Wiederanbau. Direkt neben dem Raiffeisendenkmal in Neuwied hatte Dietmar Rieth in Eigeninitiative 93 Rebstöcke angepflanzt. Der Neuwieder Wahrheit gehören 6.000 Quadratmeter des Weinbergs „Am Frauenberg“. Dietmar Rieth und seine Frau bewirtschaften als eigenständige Deichstadtwinzer zusätzlich noch den daneben liegenden Weinberg mit tausend Quadratmetern Fläche.

Neuwieder Pioniergeist
Mit Dietmar Rieth kommt ein Pionier und Mitstreiter von der Mosel. Er ist im Weinbaubetrieb seiner Eltern aufgewachsen und hatte schon immer die Idee, in Neuwied Wein anzubauen. Die klimatischen Verhältnisse und die gute Bodenstruktur sorgten dafür, dass die ersten Ergebnisse vielversprechend ausfielen. Aus der anfänglich fixen Idee sollte in den folgenden fünf Jahren die Grundlage für die „Neuwieder Wahrheit“ werden.

Wein vom Frauenberg
Im Jahr 2016 war es endlich soweit: Am „Frauenberg“ im Neuwieder Stadtteil Irlich entstand ein neuer Weinberg. „Das war kein einfaches Unterfangen“, erinnert sich Dieter Herrmann, der sich als ehemaliger Chef der Neuwieder Volksbank auch um die kaufmännischen und finanziellen Belange der GbR kümmert. „Es mussten erst einmal bürokratische Steine aus dem Weg geräumt werden. Neben Pflanzrechten ging es auch um das Inverkehrbringen unseres Weines.“ Nach einer Bodenanalyse haben Fachleute dazu geraten, dass im verdichteten Rheinsand des neu angelegten Weinbergs Chardonnay und Weißburgunder am besten gedeihen würden. Riesling wäre nur etwas für Steillagen. Und die gibt es hier nicht.

Harte körperliche Arbeit
Die Arbeit im Weinberg ist hart und macht nicht immer Spaß. Gerade bei Kälte und Regen ist das Arbeiten nicht gerade vergnügungssteuerpflichtig. „Wir alle verbringen sehr viel Zeit im Weinberg“, macht Lars Ebert deutlich. „Doch am Ende des Tages wissen wir, warum wir das machen: Es ist das Erleben mit allen Sinnen und die Freude am Wein. Und wir alle sind fest mit Irlich verwurzelt.“ Über tausend Stunden ehrenamtliche Arbeit werden im Weinberg geleistet. „Seit einiger Zeit werden wir von Jenny Heinrichs tatkräftig unterstützt, die 15 Stunden in der Woche für uns arbeitet. Zur Lese hilft uns dann das halbe Dorf. Jeder möchte dabei sein. Und nach spätestens zwei Tagen ist die Ernte und damit der nächste Jahrgang eingefahren.“

Die richtige Wahl
Der Anbau von Weißburgunder hat sich als die richtige Wahl gezeigt. Im vergangenen Jahr konnten die Gesellschafter der Neuwieder Wahrheit bereits den dritten Jahrgang lesen. „Unser Wein wird von Jahr zu Jahr besser“, urteilt Lars Ebert, der 2016 vom Projekt erfahren hat und seither dabei ist. „Wir konnten 4.500 Liter Most nach Kröv an die Mosel bringen. Dort wird unser Wein im Weingut eines befreundeten Winzers gekeltert, abgefüllt und etikettiert.“

Professionelle Unterstützung
Während sich die Hobbywinzer um die Arbeit im Weinberg kümmern, liegt das eigentliche Weinmachen in den Händen eines Profis. Das meint auch Dieter Hermann: „Die gesamte Kellerwirtschaft hat Markus Junglen übernommen. Auch der Pflanzenschutz in unserem Weinberg wird von einem professionellen Betrieb aus der Region erledigt. So sind wir immer auf der sicheren Seite.“

Jetzt auch Sekt
Rund 1.000 Liter des letzten Jahrgangs wurden zu Sekt verarbeitet. „Das ist eine echte Premiere“, freut sich Lars Ebert auf das prickelnde Vergnügen. „Aufgrund des geringeren Mostgewichts und des erhöhten Säuregehalts ist unser aktueller Jahrgang bestens zur Veredelung zum Winzersekt geeignet.“ Außerdem wurde eine Weinsonderedition als Hommage an die tausendjährige Geschichte von Irlich abgefüllt.

Weinverkostung in Hongkong
Die „Neuwieder Wahrheit“ hat es sogar bis nach Asien geschafft. „Unser erster Jahrgang ist gerade fertig geworden, da habe ich bei SWR 3 eine Reise nach Hongkong gewonnen“, erinnert sich der selbstständige Versicherungs- und Immobilienmakler. „Natürlich hatte ich eine Flasche unseres 2019er Pinot Blanc im Gepäck. Mehr durfte ich leider nicht mitnehmen.“ Die Weinverkostung fand auf dem Victoria Peak vor der Skyline von Hongkong statt. „Der Wein war etwas zu warm und statt Gläsern haben wir Pappbecher genommen. Aber es war schon etwas ganz Besonderes, den eigenen Wein am anderen Ende der Welt trinken zu dürfen.“

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Vollausbau geplant
Die fünf Gesellschafter der „Neuwieder Wahrheit“, allesamt zwischen 50 und 70 Jahre alt, haben jetzt Lust auf mehr bekommen. In den kommenden Jahren planen sie den Vollausbau, der dann bei etwa 10.000 abgefüllten Flaschen liegt. „Dann wollen wir auch die Direktvermarktung ausbauen, die bisher sehr regional ist“, blickt Dieter Hermann in die Zukunft. „Ich kann mir vorstellen, dass wir dann auch die heimische Gastronomie mit Wein und Winzersekt beliefern können.“ Da der Weinberg direkt am Wied-Wanderweg liegt, kommen täglich viele Menschen vorbei und interessieren sich für den Wein aus Neuwied. „Wir haben auf diese Weise schon viele neue Weinfreunde gewinnen können.“

Text und Fotos (10) © derreporter | Holger Bernert
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