Pfarrer Werner Zupp möchte die Erinnerungen an das jüdische Leben in Neuwied in Ehren halten und weitertragen

Mit seinem Engagement möchte Werner Zupp ein unübersehbares Zeichen gegen Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit setzen. „Als evangelischer Theologe ist es für mich besonders wichtig, mich tagtäglich mit dieser Thematik auseinanderzusetzen“, erklärt der Pfarrer der Evangelischen Kirchengemeinde Neuwied. „Schließlich war Jesus kein Christ, sondern Jude. Und das Christentum hat seine Wurzeln in der jüdischen Religion.“ Ich traf den engagierten Pfarrer im Café Auszeit neben der Marktkirche, um mit ihm über die Spuren des jüdischen Lebens in der Deichstadt zu reden.

Pfarrer Werner Zupp will sich auch im Ruhestand weiter engagieren
Blühendes Leben

Neuwied hatte immer eine große jüdische Gemeinde. Nach Ende des Dreißigjährigen Krieges kamen Menschen jüdischen Glaubens in die Deichstadt. Aufgrund der damals herrschenden Religionsfreiheit konnten die Jüdinnen und Juden ihren Glauben zum Heil der Stadt frei ausleben. „Durch ihre Aktivitäten trugen sie zum Wohlergehen aller Bürgerinnen und Bürger bei“, weiß Werner Zupp. Bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten lebten rund 200 jüdische Männer mit ihren Familien in Neuwied. Zwischen der Pogromnacht 1938 und Kriegsende 1945 wurden mit nur einer Ausnahme alle Mitglieder der jüdischen Gemeinde verhaftet, deportiert und in den Konzentrationslagern ermordet.

Bis zum 10. November 1938 stand in der Bergstraße 19 in Oberbieber eine Synagoge
"Jeder wusste Bescheid"

In der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 setzte das NS-Regime auch in Neuwied neben der Synagoge die vielen jüdischen Geschäfte in Brand. Zuvor gab es Plünderungen. „Das Hab und Gut der Menschen stand auf der Straße, Wertgegenstände und Vermögen wurden eingezogen. Die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern trieb man zum Bahnhof, um sie in Viehwagons in die Vernichtungslager zu fahren“, erzählt der Pfarrer mit versteinerter Miene. „Ich bin der festen Überzeugung, dass jeder Nachbar und jede Nachbarin damals Bescheid wusste. Niemand konnte sagen: Ich wusste von nichts.“

Das Mahnmal in der innerstädtischen Synagogengasse
Christliche Kirchen tragen Mitverantwortung

Die Synode der Evangelischen Kirche im Rheinland hat sich 1980 in einem Beschluss „Zur Erneuerung des Verhältnisses zwischen Christen und Juden“ zur Mitverantwortung und Schuld an der Schoah bekannt. Eine wegweisende Entscheidung“, meint der 65-Jährige. „Damit wurde der Weg geebnet, das Verhältnis der Christinnen und Christen zu den Jüdinnen und Juden grundlegend zu erneuern.“ Bereits in seinem Theologiestudium hatte sich Werner Zupp intensiv mit dem Judentum auseinandergesetzt.

„Wir müssen Erinnerungen stets wachhalten, damit sich Fehler nicht wiederholen.“

Werner Zupp, Pfarrer in Neuwied
Ein Verein macht Mut

Eine Herzensangelegenheit ist Werner Zupp der Deutsch-Israelische Freundeskreis Neuwied. Seit 1978 setzt sich der gemeinnützige Verein für die Völkerverständigung zwischen Deutschland und Israel ein. „Außerdem möchten wir das jüdische Erbe bewahren, indem wir Gedenk- und Kulturveranstaltungen organisieren und das Projekt Stolpersteine unterstützen“, sagt das Vereinsmitglied, das seit 1990 mit dabei ist. „Ein Projekt für die Ewigkeit.“   

In Gedenken an den Neuwieder Metzgermeister Ferdinand Levy
Über die Geschichte stolpern

Eine weitere Möglichkeit des Erinnerns sind die Stolpersteine. Überall im Stadtgebiet und in den Stadtteilen erinnern sie an die Schicksale der ehemaligen Nachbarn. Die Stolpersteine von Initiator und Künstler Gunter Demnig sind bewusst ins Pflaster eingelassen und nicht etwa auf Augenhöhe an einer Hauswand. „Um die Steine lesen und mehr über die Menschen erfahren zu können, muss man sich ein bisschen vorbeugen. Und dabei verbeugt man sich“, erklärt der verheiratete Pfarrer und Vater von zwei erwachsenen Kindern. Das geschehe für viele Betrachterinnen und Betrachter eher unwillkürlich. Es passiere einfach.

Über 250 Stolpersteine im gesamten Stadtgebiet erinnern an die Schicksale der Juden in Neuwied
Bet Hachajim in Niederbieber

Der Jüdische Friedhof in Niederbieber gehört mit mehr als einem Hektar Fläche zu den größten und zudem ältesten seiner Art in Rheinland-Pfalz. Seit dem 17. Jahrhundert wurden hier die Mitglieder der Jüdischen Gemeinde Neuwied auf dem Bet Hachajim (Haus des Lebens) beerdigt. Wahrscheinlich fand die erste Beisetzung bereits 1629 statt. Für die Jüdinnen und Juden ist dies ein heiliger Platz für die Ewigkeit, auf dem jedwede Störung der Totenruhe bis in alle Zeiten verboten ist – die Ruhefrist gilt als zeitlich unbegrenzt. Insgesamt stehen 661 Grabsteine für 770 Verstorbene auf dem seit 1985 unter Denkmalschutz stehenden Friedhof. Die älteste Inschrift auf einem dieser Mazewa stammt nachweislich aus dem Jahr 1706. Bei weiteren 294 Gräbern fehlen die Grabmäler. Auf Betreiben des Deutsch-Israelischen Freundeskreises wurde der Friedhof in den 1980er Jahren restauriert. Seit 1985 steht der Jüdische Friedhof (Moselstraße 1) unter Denkmalschutz.

Der Jüdische Friedhof in Niederbieber
Einziger Überlebender

Als einzig überlebender Jude aus Neuwied kam der 1910 geborene Michael Max Saunders zurück in seine Heimatstadt, nachdem er am 21. Juni 1938 ins Konzentrationslager Sachsenhausen deportiert wurde. Er hatte Glück – nach 14 Monaten „Schutzhaft“ bekam er seine Entlassungspapiere. Noch im selben Jahr erfolgte seine Flucht nach England. Am 13. März 1989 wurde er in der heiligen Erde des Jüdischen Friedhofs in Niederbieber beigesetzt – gleichzeitig die letzte Kevura in Neuwied.

Er war der letzte jüdische Mitbürger in Neuwied, der auf dem Jüdischen Friedhof seine letzte Ruhe fand
Wie geht’s weiter?

Seit 1987 ist Werner Zupp Pfarrer der Neuwieder Marktkirche. Ende Juni geht diese Ära zu Ende. Dann geht der beliebte Seelsorger in den Ruhestand. Oder besser gesagt: in den Unruhestand. „Nach meinem aktiven Arbeitsleben werde ich mich vermehrt im Deutsch-Israelischen Freundeskreis engagieren“, verrät er seine Zukunftspläne. „Eine wichtige Aufgabe wird das Stolperstein-Projekt sein, das ich gemeinsam mit Initiator Rolf Wüst weiterführen und später übernehmen werde. Darüber hinaus möchte ich Reisen ins gelobte Land organisieren. Dabei denke ich auch an den deutsch-israelischen Schüleraustausch mit der Integrierten Gesamtschule Neuwied als unsere Partnerschule. Wir möchten die jüdische Geschichte für die nächsten Generationen weitertragen.“ Daher auch Werner Zupps eindringlicher Appell: „Nie wieder, nie wieder!“

Ein Stein als Symbol der Ehrerbietung

Text und Fotos © (8) Holger Bernert

Das muss ich wissen ...

Deutsch-Israelischer Freundeskreis Neuwied e.V. (DIF)
Engerser Landstraße 17
56564 Neuwied
kontakt@dif-neuwied.de
www.dif-neuwied.de

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