Redselige Rentner treffen sich im Neuwieder Geländerverein und am Rhein zum „Schnuddeln“

„Schnuddeln“ gehört zum guten Ton in der Deichstadt. So wird in Neuwied ein Gespräch unter Männern genannt. Ende des 19. Jahrhunderts wurde mit dem Geländerverein sogar ein örtlicher Debattierclub gegründet. Den gibt es heute noch. Einmal in der Woche treffen sich diskussionsfreudige Männer im Vereinsheim. Auch Frauen dürfen mitmachen – allerdings an einem anderen Wochentag. Die Regeln sind immer noch streng.

Großes Kino: Schiffe auf dem Rhein beobachten und dabei am Geländer „schnuddeln“
"Schnuddeln" ist wieder in

Als der Neuwieder Geländerverein 1886 aus der Taufe gehoben wurde, waren die Sittenregeln preußisch streng. Während Frauen gerne tratschten und zankten, philosophierten die Herren damals auf einer scheinbar höheren Ebenen über Kaiser, Gott und die Welt. In Neuwied trafen sich die Herren am „Schisskanal“, der damals das Abwasser aus der Stadt in den Rhein beförderte. Damit niemand beim hitzigen Gedankenaustausch und dem damit verbundenen Saufgelage ins Wasser fiel, wurde kurzerhand ein Geländer angebracht. Das Original ist längst weg und durch eine neue Brüstung ersetzt worden. Geblieben ist jedoch der Geländerverein – und das seit mittlerweile 136 Jahren. Auch in der inoffiziellen Neuwieder Hymne kommt der Verein vor. In der zweiten Strophe heißt es: „Mir hann in Naiwidd en Geländerverein. An dem Club es alles dran. Wenn die mal es bißje benebelt sein, fänge die zu singe an …“

Heute fließt kein Abwasser mehr aus dem „Schisskanal“, dem ehemaligen Treffpunkt der Neuwieder „Schnuddler“
Wie alles begann

Es waren hauptsächlich alteingesessene Bürger der Deichstadt und Mitglieder des Neuwieder Schiffervereins, die hier am Geländer über die neuesten Nachrichten, Ereignisse und Gerüchte „schnuddelten“. Dann kamen einige Männer, die keine Schiffer waren, auf die Idee, einen eigenen Verein zu gründen. Sie gaben ihm den Namen Geländerverein. „Wenn das Wetter zu schlecht war, trafen sie sich in ihrem Stammlokal, das vom Wirt Adolf Hitz in der Marktstraße betrieben wurde“, erzählt Harald Haubrich, der seit fünf Jahren 1. Vorsitzender des Geländervereins ist. „Heute ist dort am Marktplatz die Gaststätte ‚Nette Stube‘, die wir immer noch regelmäßig besuchen.“

Seit 2018 ist Harald Haubrich Vorsitzender des Neuwieder Geländervereins
Nachkriegsjahre

Bereits ein Jahr nach Ende des 2. Weltkriegs ließ man das Vereinsleben wieder aufblühen. „Damals diente ein durchbohrtes Zweipfennigstück als Vereinsausweis“, hat Harald Haubrich, der bis zu seiner Rente im Jahr 2014 als Lkw-Fahrer und Lagerist arbeitete, in der Vereinschronik gelesen. „Dies musste stets mitgeführt und auf Verlangen vorgezeigt werden. Wer es mal nicht dabeihatte, musste eine Flasche Schnaps kaufen, die dann gemeinsam geleert wurde.“ Man munkelt, dass die Männer damals sehr vergesslich waren.

„Wir gehören zu den kommunikativ stärksten Vereinen in Neuwied“

Harald Haubrich, 1. Vorsitzender Neuwieder Geländerverein
Zeit für Reformen

Das missfiel dem damaligen Bürgermeister so sehr, dass Heinz Peters 1968 die Männer vom Geländer am Rhein verbannte und ihnen ein neues Domizil verschaffte. Fortan wurde im Aufenthaltsraum des Altenheims „geschnuddelt“ und gepichelt. Nach neun Jahren im Seniorenheim zog der Geländerverein in das Vereinshaus des Neuwieder Kanuclubs am Pegelclub. In dieser Zeit wurde das Vereinsleben grundlegend reformiert. Maßgeblich daran beteiligt war der damalige Oberbürgermeister Karl-Heinz Schmelzer, der selbst Mitglied war und dem Verein eine moderne Satzung verpasste.

Harald Haubrich (stehend) und Hans-Georg Lomp führen den Geländerverein gemeinsam
Modern und zeitgemäß

Gleichzeitig wurde das gesellschaftliche Angebot des Neuwieder Geländervereins deutlich erweitert. „Seither bieten wird Diavorträge an, zeigen Filme oder organisieren Skatturniere für unsere Mitglieder“, erzählt Hans-Georg Lomp, der seit vier Jahren das Amt des 2. Vorsitzenden innehat. Anfang der 1980er Jahre wurden auch die ersten Vereinsfahrten in die nähere Umgebung angeboten.

Hans-Georg Lomp kennen viele auch unter seinem Spitznamen „Eddy“
Nachwuchssorgen

Seit 1985 findet man die Heimstätte des Geländervereins in der ehemaligen Kantine der Stadtwerke Neuwied. Immer montags zwischen 14 und 18 Uhr treffen sich die Männer zum gemütlichen Plausch in geselliger Runde. Es sind durchweg Männer im gesetzteren Alter. „Unser Nesthäkchen ist 54 Jahre alt“, meint Harald Haubrich, der mit seinen 70 Lenzen genau dem Altersdurchschnitt des Vereins entspricht. Daher hat auch der Geländerverein Nachwuchssorgen und freut sich immer über neue Quasselstrippen. Derzeit hat der Verein rund 70 Mitglieder, die mehr oder weniger aktiv sind.

Am Pegelturm vorbei zum Geländergespräch am Rhein
Ein Schnäpschen für alle

Die meisten Mitglieder sind alleinstehende Herren, die das montägliche Treffen als gesellschaftlichen Höhepunkt der Woche ansehen. „Die freuen sich regelrecht auf diesen Tag als Höhepunkt der Woche“, sagt Hans-Georg Lomp, der wegen seiner Fahrradleidenschaft von allen nur „Eddy“ genannt wird. Punkt 16 Uhr gibt es dann einen leckeren Kräuterschnaps für alle – getreu dem Motto „Mir trinke nur, wenns nix kostet“. Und was ist mit den Frauen? „Die kommen immer donnerstags zwischen 14 und 18 Uhr. Entweder in Begleitung ihrer Liebsten oder allein. Dann gibt es auf Vereinskosten ein Tässchen Kaffee und leckere Plätzchen.“

Fühlt sich gut an: das Original-Geländer
Gemeinsame Unternehmungen

Die gemeinsamen Ausflüge des Geländervereins gehören zu den Höhepunkten des Jahres. „Bei uns ist jeden Monat etwas los. Aber alle freuen sich besonders auf unsere Vereinsfahrt“, verspricht der Vereinschef. „Am 17. August startet unsere Bustour zum Weingut Best nach Langenlonsheim, eine Weinbaugemeinde zwischen Hunsrück und Nahe.“ Noch liegen die Fahrtkosten inklusive Weinprobe und Winzerteller bei fünf Euro pro Person. Den Rest steuert die Vereinskasse bei. „Wir müssen die Preise allerdings anheben. Die Kosten für den Bus sind deutlich gestiegen“, meint Hans-Georg Lomp. „Trotzdem bleibt die Teilnahme für jedes Vereinsmitglied erschwinglich.“

Zu Fuß, mit dem Fahrrad oder auf dem Schiff entlang des Stroms, der viele „Schnuddel“-Themen bietet

Text und Fotos © (9) Holger Bernert

Das muss ich wissen ...

Neuwieder Geländerverein
Harald Haubrich (1. Vorsitzender)
Pfarrstraße 12
56564 Neuwied
Telefon 0163 8176496
haraldhaubrich@t-online.de

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